Aktualisierung: 19. Oktober 2005

backhomemailto:webmaster@oepfu.chguestbookabout the website

About Australia Presse

11. September
 2000


Cathy Freman - die heilige Hexe
   

Cathy Freeman soll in Sydney Gold über 400 Meter gewinnen und beweisen, dass die Lage der Aborigines gar nicht so mies ist. Die Ikone der Nation erweist sich jedoch als widerspenstig.

Was würde sie sagen, wenn sie etwas sagen dürfte? Wenn nicht ständig all die Agenten und Anwälte, diese Geier, um sie kreisen würden. Wenn Cathy Freeman nicht in diesen Spots von Nike auftreten würde, in denen das australische Schlüsselwort "Sorry" fällt, woraufhin sie fragt: "Können wir später darüber reden?"

Wenn sie wirklich frei wäre, prophezeite schon Anfang des Jahres Colin Tatz, ein Politikprofessor von der Macquarie-Universität, dann würde Cathy Freeman sagen, was sie denkt, und das wäre: "Hey, mir gefällt nicht, wie meine Leute behandelt werden." Oh, sie hätte eine Menge zu sagen, vermutete Tatz damals, und das Resultat wäre eine Revolution.

Mitte Juli war es so weit. Cathy Freeman, 27, berühmteste Sportlerin Australiens und Weltmeisterin über 400 Meter, lag auf einer Massagebank in England und gab ein Interview. Sie war beinahe nackt, und deshalb war keiner der Geier in der Nähe. Und darum sagte sie, dass die Regierung "unsensibel mit den Themen umgeht, die den Menschen am Herzen liegen. Sie leugnet, dass sie etwas falsch gemacht hat. Teile des Lebens von vielen Menschen wurden gestohlen".

Diese Sätze lösten zwar keine Revolution aus, aber eine Regierungskrise und Debatten auf allen Sendern, in allen Blättern. Denn Cathy Freeman ist einerseits Aborigine, und andererseits soll sie, das ist eine Art nationaler Auftrag, am 25. September Gold für Australien gewinnen.

Was muss, soll, darf sie sonst noch? Den Mund halten, wie jene Funktionäre meinen, die ihr prophylaktisch das Tragen der Aborigines-Fahne bei der Ehrenrunde verboten haben? Oder ­ und zwar laut ­ die Diskriminierung anprangern, wie die Bürgerrechtler fordern, welche die Freeman für das perfekte Sprachrohr halten?

Cathy Freemans Problem ist, dass sie sich in einer Lage befindet, die in Australien "no-win situation" heißt. Sie kann nur Fehler machen. Nichts mehr genießen. Nicht einmal mehr scheinbar schwebend die Stadionrunde laufen ­ denn sie schleppt die Geschichte ihres Kontinents mit. Und sie hat sich verheddert in dem Gestrüpp aus Erwartungen und Schuldgefühlen und dem Chaos eines privaten Problems, das zur falschen Zeit eskalierte und zur nationalen Katastrophe wurde.

Die Läuferin hat sich "'cos I'm free" auf die rechte Schulter tätowieren lassen. Doch frei ist sie längst nicht mehr. "Nur noch sie steht für Sydney 2000", sagt David Rowe, Professor für Sozialwissenschaften im australischen Newcastle, "denn sie soll eine angeblich schmerzfreie Versöhnung von Schwarz und Weiß symbolisieren." Das mache Cathy Freeman zur "nationalen Ikone", sagt der Politikprofessor Tatz. Und als Ikone ist sie ­ halb Hexe, halb Heilige ­ irgendwie für alles zuständig.

"Die Spiele werden sehr gewaltsam", sagt zum Beispiel Charles Perkins, ein Aktivist der Aborigines, "wir werden der Welt zeigen, dass Australien schmutzige Unterwäsche hat." Natürlich wünscht Perkins, dass Freeman die Spiele boykottiert.

Darf eine Aborigine überhaupt in der australischen Mannschaft laufen? "Ich bin für Einigkeit und Harmonie, Einheit und Verschiedenheit", sagt Freeman hilflos. Aber Boykott? "Boykotte funktionieren nie. Ich habe nicht trainiert, um politisch aufzutreten, sondern um die schnellsten 400 Meter meines Lebens zu laufen."

Auch der Boxer Anthony Mundine glaubt, "sie wird benutzt" ­ von der Regierung, vom Organisationskomitee der Spiele, von allen Weichspülern, die den Kontinent nicht mit Reformen verändern, sondern mit Werbesprüchen verkaufen wollen. "Jesse Owens stand gegen Adolf Hitler auf", sagt Mundine, "Muhammad Ali warf seine Goldmedaille wegen des Rassismus in den Fluss, und Tommie Smith und John Carlos erhoben 1968 in Mexiko ihre Black-Power-Fäuste."

Wäre Cathy Freeman so, dann wäre sie eine Heldin. Doch schon das Image, das ihre Sponsoren fördern, dieses Image einer lebenshungrigen Frau, ist eine Lüge. Sie selbst nennt sich "ehrlich, freigeistig, bestimmt, mutig und liebevoll", aber wer Freeman während der europäischen Sportfeste in Oslo oder Monte Carlo beobachtete, erlebte bloß ein stilles, verhuschtes Mädchen. "Sie ist sehr schüchtern", sagte einer der Geier, "sie ist auf schon absurde Weise gehemmt."

Darf also irgendwer verlangen, dass ausgerechnet jene Cathy Freeman zur Märtyrerin wird, die schon so weit gelaufen ist?

Cathys Großmutter, Alice Sibley, gehörte zur "gestohlenen Generation", zu den Kindern, die ihren Eltern geraubt wurden, weil sich laut Plan der Regierung Aborigines und Weiße mischen und so die Aborigines langsam verschwinden sollten. Cathys Vater Norman spielt Rugby; er verlässt die Familie, als seine Tochter fünf Jahre alt ist. Ein paar Dollar verdient Cathys Mutter Cecelia als Putzfrau an der Schule von Mackay im Nordosten des Landes, aber dann stellt sie den fünf Kindern ihren "neuen Papi" vor. Das ist der Mann, der Cathy auf die Bahn bringt.

Bruce Barber sei keiner dieser fanatischen Väter gewesen, sagt sie, denn er habe sie nur ermutigt: "Lauf, lauf, wenn du willst." Sie rennt, er besorgt das Geld, und sie ist 11 Jahre alt, als sie Meisterin von Queensland über 100 Meter, 200 Meter und im Hochsprung wird. Sie ist 15, als sie ihren Lehrerinnen sagt, sie werde Olympiasiegerin ­ dass will sie sich nun, nach all den Jahren, nicht nehmen lassen.

Damals ist sie nur talentiert, nicht fleißig. Sie fällt einem 30jährigen Sportreporter auf, der eine wie diese Ureinwohnerin mit den vorgeschobenen Schultern und den gewaltigen Oberschenkeln noch nie gesehen hat. Nick Bideau umgarnt sie, und obwohl ihre Mutter klammert und keift, zieht Cathy mit dem Fremden, den sie "Prince Charming" nennt, nach Melbourne.

Bideau sagt, dass sie das Laufen liebe, aber nicht das Berühmtsein, und darum erledigt er alles für sie, was nichts mit dem Laufen zu tun hat. Er wird Manager, Koch, Trainingspartner, Co-Trainer und Liebhaber. Er wird der, der sie nach dem Zieleinlauf abfängt und nicht mehr loslässt ­ wir gegen alle, so funktioniert Team Freeman, und so gewinnt Cathy in Atlanta Silber und in Athen ihre erste Weltmeisterschaft. Doch dann, 1997, kollabiert Team Freeman.

Cathy findet Briefe, die Bideau der irischen 5000-Meter-Weltmeisterin Sonia O'Sullivan geschrieben hat, und das Pikante daran ist, dass Cathy sich mit ihrer Freundin Sonia eine WG teilt. Sie zieht wütend aus und kehrt reumütig zurück, aber da sind schon die Schlösser ausgetauscht. Das alles ist nicht schön, und richtig schmutzig wird es, als Sonia von Bideau schwanger wird und Cathy sich mit Alexander Bodecker, Executive Manager bei Nike, anfreundet und ihn in San Francisco schließlich heiratet. Denn nun feuert Cathy ihren Geschäftspartner Bideau, und dann prügeln sich der Ex und der Neue.

Zuerst will Cathy Freeman ja noch, dass Bideau, der für den Ruhm und ein wenig Handgeld gearbeitet hatte, einen gerechten Anteil bekommt. Aber dann erzählt der Gekränkte ein paar sehr fiese Dinge. Zum Beispiel: "Ich konnte sie nicht alleine fliegen lassen. Sie würde ans falsche Ende der Welt fliegen." Oder, und das ist der Höhepunkt: "Man findet eine Menge eingeborene Athleten, die die Begabung zur Selbstzerstörung haben." Niemand in Australien bezweifelt, dass er Cathy Freeman und die Aborigines an und für sich meint.

Im Herbst werden sich die zwei vor Gericht treffen, denn Bideau will 50 Prozent aller Einnahmen. Und nun hoffen einige Weiße, dass die schnelle Eingeborene sich selbst aus der Bahn geworfen hat ­ und die Aborigines fürchten, dass die Sabotage der Weißen wieder mal funktioniert hat. Jede australische Zeitung fand einen Experten, der schlau daherredete. Die Freeman ist größenwahnsinnig! Wie kann sie nur, so kurz vor den Spielen! "Nick hat sie schnell gemacht", sagt der Fernsehkommentator Bruce McAvaney. Was soll sie wert sein ohne ihre Vaterfigur?

Vielleicht, das wäre das Happy End, mehr denn je. Es ist einer der wenigen Momente in Monte Carlo, in denen Cathy Freeman jemandem in die Augen blickt, der ihr eine Frage gestellt hat. Die Frage war, ob sie nicht Angst habe, zerquetscht zu werden in diesem Wust aus Vaterland und Trennungskrieg. Sie erzählt von Los Angeles, wo sie mit Maurice Green trainiert, und von London, wohin sie umgezogen ist. "Nach London kann ich auch noch zurück, wenn ich nur Silber gewonnen habe", sagt sie.

Sie habe schon oft gedacht, sie schaffe es nicht, antwortet Cathy Freeman schließlich, "aber das ist alles nur Vorspiel. Der 400-Meter-Lauf ist für mich etwas rein Körperliches. Bin ich gesund und stark, dann gewinne ich auch".

Klaus Brinkbäumer


back


 Uebersicht Presse
Boom in der Roh-stoffindustrie
Mai 2005
Aldi goes Down Under
Februar 2001
Importverbot für Rindfleisch
Januar 2001
Hai-Alarm
Dezember 2000
Aussöhnung mit Aborigines
Dezember 2000
Schwere Überschwemmungen November 2000
Cathy Freman - die heilige Hexe September 2000
Buschbrände September 2000
 
   
trenner_unten.gif (828 Byte)
online seit 3. August 2000