Die ersten Höhlenmalereien sollen vor mehr als
25 000 Jahren im Kimberleygebirge geschaffen worden sein.Die Kunst der
Aborigines war ursprünglich religiös. Alle Lebensbereiche der Menschen waren mit
künstlerischem Tun verbunden und wirkten auf die Kunst. Tanz, Musik, das
Erzählen und die Malerei waren thematisch miteinander verbunden. Das Geistes-
und Kulturleben gründete in der Vorstellung von einer mythischen Vorzeit, die
von besonders veranlagten Individuen erinnert werden konnte, denn das kulturelle
Leben der Aborigines stellt sich als permanente Wiederholung eines
Ursprungsmythos dar. Hauptbetätigungsfeld des Künstlers waren offenbar
Kultgegenstände (Tjuringa), die mit geometrischen Mustern bemalt oder beschnitzt
wurden.
Die traditionelle Kunst der Aborigines findet ihren Ausdruck auf Waffen und
Gerätschaften. Speere, Schleudern, Rindenmulden, die als Schüsseln verwendet
wurden, werden mit Schnitzereien oder mit Naturfarben aus Ocker und Holzkohle
verziert. Körperschmuck wird aus gefärbten Federn oder Blüten hergestellt.
Sandbilder werden mit Farben oder Federn in den Boden gemalt. Durch permanentes
Wiederholen von Bildern und Zeichen hat die Kunst der Aborigines, trotz ihrer
vergänglichen Werkstoffe, Jahrtausende überlebt.
Die aus der
Traumzeit stammenden Schöpfungsmythen werden von den Aborigines in Bildern
wiedergegeben, wobei der Traum einen seherischen Charakter besitzt. In den
Träumen sind die Landschaft und die Beziehung der Aborigines zur Landschaft
verankert, die Träume fungieren als kollektives Gedächtnis, in dem die Ahnen aus
prähistorischer Zeit in den heutigen Aborigines weiterleben. Sie vererben ihnen
ihre Totems, beschreiben die gesellschaftliche Stellung und ihr individuelles
Handeln. Das Träumen und die Inhalte des Träumens sind wiederkehrendes Thema
eines Großteils der Kunst der australischen Aborigines. Der deutsche
Filmregisseur Wim Wenders hat in seinem Film Bis ans Ende der Welt dieses Thema
aufgegriffen.
Die Geschichte der Rindenmalerei, die besonders in Arnhemland verbreitet war,
ist nur schwer zu ermitteln. Aus der Zeit vor dem 19. Jahrhundert gibt es keine
Zeugnisse, da Rinde ein vergängliches Material ist. Die in Arnhemland für den
Erwerb durch europäische Siedler geschaffenen Bilder sind, je nach
Herstellungsort in Größe und Stil verschieden. Die Bilder aus dem Westen, die
der Gegend um den Alligatorfluss und um Oenpelli entstammen, sind figurativer,
die des Ostens sind durch eher geometrische Entwürfe gekennzeichnet.
Ähnliche Veränderungen haben in der Bildhauerkunst stattgefunden. Die Timi von
der Bathurst-Insel und der Melville-Insel schufen Holzskulpturen, die die Gräber
ihrer Verstorbenen markierten.
Mit der Ankunft der ersten weißen Siedler in den neunziger Jahren des
18. Jahrhunderts trat die Kunst der Aborigines in ein neues Stadium ein.
Zunächst versuchten die Kolonialherren die Aborigines in ihre Tradition
einzubinden. Dies hatte auch auf die Kunst Auswirkungen. Aborigines begannen mit
Stiften und Papier zu arbeiten und malten in europäischer Tradition Szenen aus
dem Leben der Aborigines für das englische Publikum.
In den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts begann Rex Batterbee, ein
europäischer Kunstlehrer in einer lutherischen Mission bei Alice Springs, die
Aborigines in der europäischen Aquarellmalerei zu unterrichten. Sein Schüler war
Albert Namatjira. 1938 hatte Namatjiara seine erste Einzelausstellung und wurde
der erste bekannte Künstler der Aborigines, der sich stilistisch an europäischen
Maltraditionen orientierte.
Papunya wurde gegen Ende der dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts als Siedlung
für Aborigines gegründet. Obwohl dort von Anfang an geschnitzte und bemalte
Kunstgegenstände hergestellt wurden, die in Touristenläden in Alice Springs
verkauft wurden, wurde Papunya erst Ende der siebziger Jahre zum Ort des
Wiederaufkommens der Kunst der Ureinwohner. 1971 kam ein weißer Lehrer dorthin,
um den Schulkindern Kunst zu lehren. Er brachte ihnen Acrylmalerei bei, und die
Kinder gestalteten die Wand ihres Schulhauses in dieser Technik mit einem großen
Wandgemälde (Traum einer Honigameise), wobei sie den Stil und die Symbolsprache
der traditionellen Felsenmalereien beibehielten. Derart pädagogisch eingeleitet,
begann eine durch die Weißen initiierte Aborigineskunst, die nichts mehr mit den
traditionellen Kunstäußerungen zu tun hatte, sondern feststehende, europäische
Vorstellungen von einer Kunst der Aborigines an ihren Ausgangspunkt setzte. Die
akademischen Berufskünstler der Aborigines von Papunya begannen auf fast jedem
erreichbaren flachen Material zu malen, seien es nun Bretter oder Linoleum und
bedienten damit auch die europäischen Vorstellungen von der Authentizität ihrer
Kunst. In den siebziger Jahren wurde die Papunya Tula Artists Ltd. als
Künstlerkooperative gegründet, um die Werke der Maler international zu
vermarkten.
Die Ockerbilder der Warmun Gemeinschaft in Turkey Creek, in den östlichen
Kimberleybergen, haben viele Bewunderer. Die Künstler gewinnen Ockerfarben aus
Ockerminen und bemalen damit Leinwände. In Ngukurr, am Südrand von Arnhemland,
malen die Künstler dagegen mit Acrylfarben auf Leinwand. In den Bildern sind
Ahnen in menschlicher und tierischer Gestalt, Waffen, Werkzeuge und eine
Pflanzenwelt zu sehen, die die Bildoberflächen voll und belebt erscheinen
lassen. Die gewundenen Schlangenformen und der Gebrauch von Punkten zur
Gestaltung von Konturen finden sich auch im Werk südlicherer Gemeinschaften. In
den Städten lebende Aborigines haben versucht, ihre Herkunft durch die Kunst zu
erschließen und so Selbstbestätigung in einer Kultur und Gesellschaft zu finden,
die sie lange an den Rand drängte und auslöschen wollte. Vielleicht ist heute,
nachdem die traditionelle Kunst der Aborigines fast verschwunden ist, die
Malerbewegung die einzige Möglichkeit für die Aborigines, eine eigene
künstlerische Ausdrucksform, die auf eigenen, authentischen Traditionen beruht,
zu erhalten. Es ist bemerkenswert, dass heute, wenn von australischer Kunst die
Rede ist, der Begriff eher mit der Malerei der Aborigines verbunden wird und
erst in zweiter Linie mit der europäisch geprägten Kunst Australiens. |